“I can’t think of anything” sagte mein Kollege A. letztens im Meeting. In den digitalen Meeting Notes stand für ein paar Sekunden einfach nur “A. can’t think”
Und da dämmerte es mir. “I can’t think either” habe ich zum Protokoll gegeben.
Seit ein paar Wochen habe ich durchschnittlich acht Meetings am Tag. Durchschnittlich. Manchmal 6 Halb-Stunden Calls und 3 längere Meetings, da bleiben zwar rein rechnerisch auch noch ein paar halbe Stunden übrig aber trotz Superwoman-Anwärterinnenschaft schaffe ich es in diesen kurzen Zwischenräumen kaum, mir ernsthaft über etwas Gedanken zu machen. Stattdessen checke ich mal kurz meine Emails und vielleicht unser Intranet.
Ich glaube, fast alle kennen dieses Problem, vor lauter dringenden Sachen nie zu den wirklich wichtigen zu kommen. Mich nervt das gerade sehr. Denn es gibt so vieles, worüber ich gerne intensiver nachdenken würde als mal kurz morgens auf dem Fahrrad. Und selbst da werde ich ja immer wieder von Autos unterbrochen. Autos, die zu eng überholen, Autos, die auf dem Fahrradweg parken, Autos, die es mit rechts vor links nicht so genau nehmen, Autos, deren Abgase ich gezwungen werde einzuatmen. Ich hoffe, dass ich eines Tages noch autofreie Innenstädte erleben darf.
Darüber denke ich dann nach, wenn ich von Autos abgelenkt werde während ich eigentlich über Kommunikationsstrategien, Digitalpolitik oder Konsent nachdenken will.
Zum Beispiel wabern in meinem Kopf schon lange Gedankenfetzen rum die sich mit den Parallelen zwischen dem feministisch-emanzipatorischen Ideen zu Konsent und digitalen Opt-Ins vs Opt-Out beschäftigen wollen. Wenn nur Ja Ja heißt, und wir davon überzeugt sind, dass es sehr gute Gründe dafür gibt, was heißt das dann z.B. in Sachen Datenschutz?
Eine andere feministisch-digitale Schnittstelle, wenn auch eine besonders unschöne, ist das Thema Hate Speech, als Form digitaler Gewalt gegen Frauen. Kann mensch Technik (weiter-)entwickeln, um diese Formen der Gewalt gar nicht erst zu ermöglichen? Oder ist die digitale Sphäre hier vielmehr ein Brennglas für soziale Tendenzen, die bisher vor allem im nicht-öffentlichen Raum ausgelebt wurden?
Und wie können wir, bei all dem Hass und all der Gewalt, positive Zukunftsvisionen entwickeln und in dieser unperfekten Realität positive Narrative von Technologie stärken? (Und ich meine damit nicht den nächsten Bitcoin-Hype…)
Schwer beeindruckt ebenfalls gedanklich erst halb verdaut habe ich Carolin Emckes neuestes Buch “Ja heißt Ja und …”, aber das ist wohl auch gewollt. Es gibt in diesem Buch über sexualisierte Gewalt keine fertigen Erklärungen, dafür umso mehr Denkanstöße und -einladungen.
Anstatt solche Gedanken zu verfolgen, bleibt meist nur mentale Kapazität für das akute, also allgemeine Alltagslogistik. Während oder nach welchem Meeting kann ich noch was essen, welche To Dos kann ich abarbeiten während Mini Lego baut und habe ich schon ein Hotel für den Termin in Köln?
Und selbst damit stoße ich ab und an an meine Grenzen, so wie am Samstag, als ich auf einmal vor der Factory in Kreuzberg stand, die ziemlich leer und zu aussah. Jedenfalls eher nicht, also würden dort ein Dutzend Grüne Arbeitsgemeinschaften tagen. Nachdem ich in den Untiefen meiner Inbox nach der Einladung gesucht hatte, war auch klar warum: Die LAGen-Konferenz fand im “Forum Factory” statt. Klingt ähnlich liegt aber 5 Kilometer in der entgegengesetzten Richtung. Ich habe es dann als Work-Out verbucht…
Der kleine Sprint auf dem Rad hat sich auf jeden Fall gelohnt. Angesichts der Hitze und der trotzdem in großer Zahl Anwesenden konstatierte die erste Rednerin, Adrienne Goehler “Die Grünen haben sich ihre Leidensfähigkeit erhalten.”
Als LAG Digitales und Netzpolitik haben wir einen Workshop zu Künstlicher Intelligenz veranstaltet – meine Sprecherinnenkollegin Johanna hat dafür phantastische Referent:innen eingeladen. Peter Schaaf, bei dem ich schon im letzten Semester meines Studiums Vorlesungen zum Datenschutz gehört habe, Veza Clute-Simon, die als Mitglied des netzfeministischen Vereins netzforma die notwendige Begriffserläuterung zu KI geliefert hat und als absolutes Highlight Lorena Jaume-Palasi, Mitbegründerin von Algorithm-Watch, die mit ihrer Expertise in Sachen KI trotz gefühlten 42º geschafft hat, alle in ihrem Bann zu ziehen und zum Nachdenken über den Nutzen von KI zu animieren.
Es gibt ein ausführliches Protokoll der Beiträge und das tl;dr von mir bei Twitter.
Nach soviel Programm am Samstag hatte ich dann für Sonntag nur noch einen einzigen Programmpunkt: Nichts!
Ich habe mich seit dem letzten Wochenende, das sehr schön aber auch sehr ereignisreich war, auf diesen Tag gefreut. Ich habe ausgeschlafen, im Gras gelegen, in den Himmel gestarrt, Tomaten vom Balkon gegessen und lange Gespräche mit dem Herzenswunsch geführt. Ohne irgendeinen Termin oder irgendein To Do.
Eigentlich dachte ich ja, ich muss erst Zeit zum Denken finden, damit ich vielleicht, irgendwann auch mal wieder zum Nicht-Denken komme. Das einfach wirklich und richtig entspannen.
Es genau andersrum zu machen, war eine exzellente Idee. (War ja auch meine!)
Trotzdem hoffe ich natürlich, dass ich bald auch mal wieder öfter zum ausgiebigen Denken komme und das am besten noch vor es autofreie Innenstädte gibt.
(Oder einfach beides und zwar sofort?!)