Mein Deutschlehrer lebt leider nicht mehr, aber vielleicht ist das auch besser so, denn bei soviel mangelnder Lesekompetenz und Textinterpretationen, die an Wahnvorstellungen denken lassen, würde er aus dem Haare raufen gar nicht mehr rauskommen.
Und dann war er auch noch Sozialkundelehrer. Die Welt wäre ein bisschen besser, wenn es ihn noch gäbe, aber er selbst hätte gerade keine Freude am Zustand der Welt und dieses Landes im konkreten.
Da schreibt jemensch eine Kolumne, eine offensichtlich satirische und meinetwegen polemische, in der es um neue Jobs für Polizist*innen geht. Nachdem einige Berufsoptionen durchgespielt und verworfen wurden geht es im letzten Absatz um die Abfallindustrie als mögliches Einsatzgebiet. H. Yaghoobifarah erläutert, dass Müllabfuhr keine gute Idee wäre, denn da hätten die Mitarbeiter:innen ja Zugang zu Wohnhäusern. Eine Vorstellung, die für Menschen, die von Polizeigewalt, rechter Gewalt, Rassismus betroffen sind, ein Alptraum ist. Und genau um diesen Hintergrund geht es, aus dieser Perspektive ist der Text entstanden.
Also wird präzisiert: Zur Mülldeponie, da könnten sie hin.
Ja, natürlich ist das eindeutig doppeldeutig hätte mein Deutschlehrer bestätigt. Mensch könnte auch daran denken, dass Polizist:innen da nicht arbeiten sollen, sondern dass mit “ihresgleichen” der Müll dort und nicht die Deponiearbeiter:innen gemeint sein könnten. Aber doppeldeutig ist nicht eindeutig und gerade in der Satire ist das ein häufiges Stilmittel. In anderen Texten, von anderen Autor:innen wird so etwas als “spitzzüngig”, auch gern mal als “scharfsinnig” bezeichnet.
Nochmal zum Mitschreiben für alle, die nie in den Deutsch-LK wollten: Es steht dort nicht, dass Polizist:innen Müll sind.
Schon lange vor eben jener Kolumne habe ich, die ich auch noch am 13.12. geboren bin, immer wieder darüber nachgedacht wie ich zu “ACAB” stehe. Mir ist jede Art der Menschenfeindlichkeit zuwider und eindeutig sind Polizist:innen Menschen.
Politisch halte ich es für wenig hilfreich pauschal eine Berufsgruppe zu verdammen, genau so wenig wie es feministischen Anliegen hilt “Alle Männer sind Schweine” zu postulieren. Trotzdem habe ich letzteres mit Sicherheit im privaten schon mehr als einmal gesagt. Als subjektiven Ausdruck meiner Wut und Enttäuschung.
Meine Mama erzählt von den bedrohlichen Szenen bei Anti-Atom-Demonstrationen in den 80ern, als Polizeihubschrauber haarscharf über die Köpfe der Demonstrant:innen geflogen sind. Ich wurde bei Refugee-Protesten und anderen Demos Augenzeugin von brutaler und komplett anlassloser Polizeigewalt, ich wurde schon von einem Polizisten in voller Kampfmontur umgeschubst, weil ich die Strasse überqueren wollte und es ihm offensichtlich zu banal war, es erstmal mit Worten zu probieren.
Meine Mutter und ich sind blonde, weiße Cis-Frauen.
Welche Erfahrung Menschen mit anderem Aussehen, anderem Hintergrund mit der Polizei machen ist in diesen Tagen offenkundig. Dass diese Menschen, und alle, die sich mit ihnen solidarisieren, wütend sind, kann also für niemanden eine Überraschung sein.
Aber anstatt alles dafür zu tun, dass niemand in diesem Land pauschal wütend und ohnmächtig der Staatsgewalt gegenüber stehen muss, fängt der Innenminister pauschal an, alle Polizist:innen als zu Unrecht diffamiert in den Schutz zu nehmen und droht lieber mit einem juristisch absurden Angriff auf die Pressefreiheit.
Natürlich sind nicht alle Polizist:innen “Bastards” aber es sind eben auch nicht alle die vorbildlichen Mitarbeiter:innen der Exekutive, die sie sein sollten. Und ja, mein Anspruch an die Inhaber:innen des Gewaltmonopols sind höher als die an Kolumnist:innen.
Seehofer sollte Yaghoobifarah also lieber zu einem Gespräch einladen um von ihr zu lernen, was falsch läuft bei der Polizei. Wenn er sich vorher öffentlich entschuldigt und guten Kuchen anbietet (Ironie, auch so ein Stilmittel) kommt sie vielleicht sogar.
Dann könnte er sich den wirklichen Aufgaben eines Innenministers widmen und zum Beispiel an der Ernennung einer unabhängigen Polizeibeauftragten im Bund arbeiten und für flächendeckende Antirassismustrainings für die Polizei sorgen.
Ja genau, Laura, gut gebrüllt Löwenkind!