Der letzte Montagspost ist kurzfristig ausgefallen und oh boy hat es sich gelohnt der Tradition ausnahmsweise untreu zu werden!
Es ist keine sieben Tage her, dass ich mich dazu entschieden habe, für die Grünen zur Bundestagswahl zu kandidieren.
Zu oft habe ich in letzter Zeit gepredigt, dass wir alle politischer werden müssen, dass ihr alle in Parteien eintreten sollt und dass sich Frauen mehr trauen sollten, um es nicht zu tun.
Vor einer Woche gab es noch keine einzige Kandidatin für Platz 5 der Landesliste. Und das kann ja einfach nicht sein, dass wir bei so einer entscheidenden Wahl irgendwas anderes als die beste, qualifizierteste und motivierteste Liste haben.
Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht und die ganze letzte Woche zwischen “Unbedingt!” und “Auf gar keinen Fall!” verbracht. Dazwischen war ich noch zwei Tage in Köln und das Baby wollte sich auch nicht einfach auf Pause stellen lassen.
Natürlich gab es viele, viele Gründe es nicht zu tun. Seit ich (wieder!) bei den Grünen bin, habe ich in der Partei deutliche weniger gemacht, als ich eigentlich wollte. Das mit dem Job und dem Baby und der Zeit und all das.
Ich ging fest davon aus, immensen Gegenwind zu bekommen, sollte ich kandidieren. Und ich war mir nicht sicher, ob ich diese Art der Zusatzbelastung gerade packe. Am Donnerstag Morgen bin ich deswegen mit einer Entscheidung gegen die Kandidatur aufgewacht. Aber dann setze ich mich an den Küchentisch und der Mann liest mir die Rede vor, die er mir über Nacht geschrieben hat. Er plädierte mit emotionalen Worten dafür, dass ich für ihn, der hier nicht wählen darf sondern latent unter Terrorverdacht steht und für dieses halb-muslimische Kind, dass mir soviel Zeit klaut und so unfassbar viel Glück schenkt, in die Politik gehen muss. Und er hat Recht!
Trotzdem habe ich mit einem großen Shitstorm gerechnet, nachdem ich spät am Donnerstag Abend meine Kandidatur veröffentlicht habe. So kannte ich das schließlich von den Piraten.
Ich wollte Twitter am nächsten morgen schon gar nicht anmachen. Als ich es dann doch getan habe, war ich ein bisschen baff. Kein einziger stichelnder Kommentar, kein einziges Ei, stattdessen von allen Seiten Zuspruch und Glückwünsche. Nicht nur von Freunden und Followerinnen, sondern auch von ganz vielen Grünen, die ich noch nicht persönlich kannte.
Was für ein großartiger Beweis, in der richtigen Partei zu sein!
Ich war also erstmal guten Mutes. Kurz, denn zu dem Zeitpunkt hatte ich noch genau 20 Stunden, um eine Rede zu schreiben. Eine Rede, die in 5 Minuten packt, wofür ich stehe, was mir wichtig ist und warum die Berliner Grünen mich wählen sollen. Puh.
Ich habe erstmal Redenschreibe-Tipps gegoogelt und bin über einen tollen Artikel gestossen, der erklärte, dass jede gute Rede mindestens drölfzig Überarbeitungen braucht und dass Hillary ihre Nomination-Speech 6 Wochen vorher angefangen hat. Ich hatte noch 19,5 Stunden und war leicht unentspannt. Leicht. Ganz leicht!
Ich habe Stichpunkte und Formulierungen und Zitate in ein Pad getippt und mit jedem Wort mehr wurde meine Verzweiflung größer. Ich sah mich schon eine Liste von Bullet-Points vorlesen. Alternativ die Nacht durchmachend und dann am Pult einschlafend.
Der Mann versuchte mich zu beruhigen und versicherte mir immer wieder, dass er zu 100% hinter mir stehe.
Bis zu dem Moment, an dem er seine Jacke nahm und auf meinen entgeisterten Blick erklärte, dass er sich jetzt mit Freunden auf ein Bier träfe, das war ausgemacht.
Na klar, schreib ich halt ne Rede während ich das Kind bespaße. Easy! Vielleicht fallen dem Baby ja noch ein paar Formulierungen ein. Mit “Mmhhhaamm!!” und “Pffffsssffff” könnte mir zumindest niemand drögen Politsprech vorwerfen.
Wie es im Leben immer so ist, wenn es eng wird, von irgendwoher kommt eine großartige Frau und zeigt Dir das Licht am Ende des Tunnels. Das war am Freitag Carline, die aus den ersten Versatzstücken den Anfang einer Rede gezimmert hat. Und auf einmal schrieb sich der Rest wie von selbst.
Das Ergebnis könnt ihr hier bewundern. [YouTube]
Nach dieser Rede wurde ich dann von der Landesmitgliederversammlung mit 64% auf Platz 5 der Landesliste gewählt. Woohoo!
Für ausführliches Feiern reichte meiner Energie am Samstag Abend dann leider nicht mehr. Um 10 war die ganze Familie im Bett und nachdem ich sichergestellt habe, dass links und rechts von mir geschnarcht wird, bin ich auch eingeschlafen.
Heute morgen hatte ich ein berufliches Telefonat mit einem Bekannten. “Laura, vor wir über den Termin reden und vor ich gratuliere eine Frage: Bist Du eigentlich wahnsinnig?!” “Ja. Es sieht schwer danach aus.”
Schalten Sie also die nächsten Montage wieder ein, wenn Sie wissen wollen, wie ich einen Job, ein Kind und einen Wahlkampf schaukle.
Werde ich nie wieder schlafen?
Wie werde ich Wahlwerbung entblocken?
Wann werde ich den ersten fiesen Accountfail produzieren??