“Kannst Du einen Menschen malen? Vielleicht die Mama?” fragte die Arzthelferin Mini bei der jährlichen Vorsorgeuntersuchung.
Seh- und Hörtest liefen schon prima, aber Malen ist echt nicht Minis Stärke. Auf dem Papier landete ein semi-rundes Gekrakel. “Das ist ein Zombie!”
Bisher hatte ich versucht mich rauszuhalten, aber jetzt war mein Impuls mein Kind vor dem Versagen zu bewahren doch zu stark. (Bei einer Vorsorgeuntersuchung bei der Kinderärztin, Danke Leistungsgesellschaft…) Ich wollte ein klein bisschen nachhelfen und habe vorgeschlagen, dass er dem Zombie ja noch Augen malen könnte. Mini liess sich nicht aus der Ruhe bringen. “Nein. Der hat keine Augen. Und auch keine Beine!”
Das war der lustigste Moment der letzten Tage. Wahrscheinlich auch weil der Zombie nur auf dem Papier war und selbst ohne Augen und Beine nicht sonderlich bedrohlich aussah.
Ganz im Gegensatz zu den Tausenden von allzu lebendigen Menschen, die am Wochenende in Berlin aufmarschiert sind. Von denen viele trotz Augen im Kopf nicht sehen wollten, mit wem sie da auf der Strasse waren. Mit Rechtsextremen, Reichsbürger:innen und Nazis. Während vielleicht nicht alle die plurale Gesellschaft abschaffen wollen, sind die Nazis und “Querdenkerinnen” einig darin, dass sie am liebsten die Regierung stürzen und eine neue Verfassung schreiben wollen. Obwohl ihnen das bestehende Grundgesetz am Freitag noch gut genug war, sich auf dessen Basis eine Demonstrationserlaubnis einzuklagen.
Ich bin sonst oft auf Demos gegen Rechts, viel zu oft, aber es muss leider sein. Dieses Wochenende hielt mich nicht nur die Hochzeit einer guten Freundin ab, ich hatte auch zum ersten Mal wirklich Angst. Alleine wäre ich wahrscheinlich trotzdem zur Gegendemo, zusammen mit vielen Grünen und anderen Demokratieverteidiger*innen. Auch Mini war mit 6 Monaten auf seiner ersten Demo und war seitdem mit mir auf unzähligen Demos, gegen Uploadfilter, für sexuelle Selbstbestimmung.
Aber wenn eine wildgewordene Horde aus allen dunklen und braunen Ecken zum “Sturm auf Berlin” aufruft, mehrere davon sich schon im Vorfeld zum Einbruch in den Reichstag verabreden und einige Waffengewalt ankündigen, dann kann ich da nicht mit einem kleinen Kind hin. Erst recht, wenn das Kind nicht so “kartoffel-deutsch” aussieht, wie die alten und neuen Nazis das gerne hätten. Es ist schlimm genug, dass es Menschen mit solcher Gesinnung gibt, schlimm genug, dass nach Halle, Kassel, Neukölln und Hanau noch immer kaum etwas gegen rechten Terror gemacht wird, ich will mein Kind so lange ich kann davor beschützen, solche Menschen auch nur zu sehen.
Also haben wir auf dem Weg zur Hochzeit einen weiten Bogen um die Berliner Innenstadt gemacht. Als ich genau das auf Twitter geteilt habe, wurde mir natürlich prompt unterstellt, dass ich es übertreibe, dass ich Wahnvorstellungen hätte, hysterisch sei und in die Psychatrie gehöre, dass die Demonstrierenden friedlich sein und dass von “ausländischen” Gleisschubsern eine viel größere Gefahr ausging. Nach den ersten hundert solcher Kommentare habe ich aufgehört in die Antworten zu gucken. Stattdessen hat ein guter Freund alle überprüft und die abgespeichert, die strafrechtlich relevant sind.
Es überrascht mich leider nicht, dass sich Hass und Hetze genau dann wieder ergiessen, wenn die Gefahr und das Gewaltpotential von Rechtsextremen thematisiert wird.
Die verrohte Kommunikation auf Twitter und in den Kommentarspalten digitaler Nachrichtenmagazinen, das gegenseitige Befeuern in Foren und Chatgruppen sind mittlerweile seit Jahren der Nährboden für den erstarkenden Rechtsextremismus. Dass dieser immer auch mit Antifeminismus einhergeht zeigen mittlerweile diverse Studien oder eben ein Blick in meine Twitter-Mentions. Das sind schon lange keine harmlosen Trolle mehr und das ist auch kein Problem “im Internet”. Wenn wir den Rechten den Nährboden entziehen wollen, müssen wir endlich effektiver gegen Hate Speech und digitale Gewalt vorgehen. Es kann doch nicht sein, dass ein Nazi in 30 Sekunden eine Drohung an mich schickt, die für alle zu sehen ist, und ich mehrere Stunden meiner Zeit dafür aufbringen muss, diese Straftat zu dokumentieren und anzuzeigen, nur um in den meisten Fällen nie wieder etwas von der Polizei dazu zu hören.
Wir müssen absolut sicher stellen, dass alle Polizist*innen in diesem Land fest auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen (allein gestern sprachen mindestens 3 Polizeibeamte als Redner vor Reichsbürgern), und wir müssen Polizei und Staatsanwaltschaften so aufstellen, dass sie konsequent gegen digitale Gewalt vorgehen können. Im Rahmen der Initiaive #NetzohneGewalt haben wir notwendige dafür Schritte aufgezeigt.
Um hier nicht nur negativ zu enden, will ich unbedingt auch die vielen solidarischen Kommentare und Nachrichten erwähnen. Jede:r einzelne davon ist Gold wert und stärkt meine Hoffnung in die Menschheit. Am meisten berührt hat mich die private Nachricht einer Berliner, die ich überhaupt nicht kenne. Vom Namen und Foto war gut zu erkennen, dass auch sie potentielles Ziel rassistischer Angriffe sein könnte. Und trotzdem schrieb sie mir und bot an, mich und Mini zum Zug zu begleiten. Ich war sehr gerührt und werde an sie denken, wenn mich mal wieder jemand fragt, warum ich mir Social Media “antue”.