Keine Posts wegen zu langen Ferien, keine Posts wegen zu viel Arbeit – ich weiß nicht genau, was passieren muss, damit ich mal wieder ein paar Montagspost in Folge schreibe. An Montagen.
Meine Abscheu für Routinen und meine Freude an Ritualen kommen sich nicht nur montags gern in die Quere. (Fügen Sie hier ein semi-geistreiches Quere-Wortspiel ein.)
Jedenfalls schreibe ich diesen Post an einem Donnerstag und ich bin auf dem Rückweg von der zweiten Digitalkonferenz in einer Woche und habe ein bisschen Ruhe um die letzten Tage auf digitales Papier zu bringen.
Es hat letzten Montag keine zwei Stunden gedauert und ich war schon wieder voll im Job, fast als wäre ich nie weg gewesen. Dank meinem tollen Team ist aber während meiner Sommerauszeit auch nichts liegengeblieben und nichts angebrannt, so dass ich mich nach ein paar Abstimmungsgesprächen gleich wieder auf die strategischen Projekte und vor allem meine anstehenden Vorträge kümmern konnte.
Am Mittwoch saß ich in Moskau mit dem Team unserer russischen PR-Agentur beim Mittagessen, als die Organisatorin der Digital Marketing Konferenz auf der ich am Donnerstag sprechen sollte anfing, im Minutentakt nach meinen Slides zu fragen. Die aber leider noch nicht fertig waren. Am Tisch gab es einen hektischen Wortwechsel auf Russisch, das einzige, was ich verstanden habe war, dass “Schabloni” wohl sehr wichtig sei. Also hab ich sie gebeten, doch der Organisatorin zu bestätigen, dass ich sehr gerne ihre Schabloni nutze und sie sich keine Sorgen machen soll, ich habe bisher immer meine Präsentationen fertig gestellt, vor ich auf eine Bühne gegangen bin.
Diese Präsentation war allerdings ein bisschen anders. Im Vorfeld der Konferenz hatte ich lange darüber nachgedacht, was es für mich heißt als queer-feministische Frau eine Bühne zu bekommen, in einem Land, in dem schon das öffentliche Tragen jeglicher LQBTIQ-Symbolik strafbar ist. Natürlich war ich nicht als Queer eingeladen, sondern als Sprecherin eines Digitalunternehmens. Aber auch wenn ich unterschiedliche Hüte habe, meine Persönlichkeit ist nichts, was ich an der Passkontrolle abgebe. Eine Bühne zu bekommen und dazu absolut nichts zu sagen, hätte sich falsch angefühlt. Nach schweigendem Dulden eines unmenschlichen Systems.
Ich konnte und wollte zu diesem Unrecht nicht schweigen. Gerade als jemand vielen Privilegien, darunter ein Business-Visum in einem EU-Pass und die Tatsache, dass ich als Frau mit Kind von den meisten Menschen automatisch als heterosexuell gesehen werde.
Auf der anderen Seite wollte ich auch keinen Skandal für eyeo produzieren. Meine Arbeitgeberin ist sehr tolerant, was meine politischen Aktivitäten anbelangt, aber es gibt auch eine klare Ansage, als Firmensprecherin politisch neutral zu sein. Eine Abmahnung wollte ich mir natürlich auch nicht unbedingt einhandeln.
Aber gibt es in Zeiten, in denen ganzen Gruppen ihre fundamentalsten Menschenrechte entzogen werden, in denen die Demokratie unter Beschuss steht, so etwas wie politische Neutralität? Ich glaube nicht.
Ich bin also nach Moskau gereist mit einem Regenbogen-Sticker auf meinem sonst blanken Laptop. In meinem Talk ging es um schlechte Online-Werbung und wie bessere Werbung aussehen könnte. Kurz vor allerletztem Abgabeschluss für meine Präsentation die perfekte “akzeptale” Anzeige und die perfekte letzte Folie gefunden: In Regenbogenfarben stand metergroß auf der Leinwand: “Being accepted. Priceless.” Ich habe darüber gesprochen, wie wichtig es ist, Menschen zu akzeptieren und zu respektieren, so wie sie eben sind. Mit all ihren unterschiedlichen Eigenschaften und Präferenzen.
Ich meine, dass der Saal noch ein wenig stiller war als während der anderen Slides und auch wenn ich mir keine ernsthaften Sorgen gemacht hatte (Privilegien…) war ich doch ganz froh, ohne Probleme durch die Passkontrolle und zurück nach Berlin zu kommen.
Zuhause hat Mini auf mich gewartet, für den total normal ist, dass es Menschen in seiner Familie gibt, die mal eine Frau waren und jetzt ein Mann sind, schließlich ist Spiderman ja auch manchmal ein Mensch und manchmal ein Superheld. Hoffentlich ist das irgendwann für alle Menschen überall so selbstverständlich!
Bis dahin schleife ich Mini am Wochenende auf Parteiveranstaltungen um mich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Am Samstag fand die Frauenkonferenz der Berliner Grünen statt und ich hatte dafür gleich drei Anträge geschrieben. Ich habe mich auf die Bühne gestellt und einmal mehr laut den Satz “Ich habe abgetrieben.” gesagt und vorgestellt, was wir auf Landesebene tun können, um Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland zu entkriminalisieren und zu enttabuisieren.
Als nächstes habe ich darüber gesprochen, was Berlin tun kann, damit Algorithmen und künstliche Intelligenzen möglichst diskriminierungsfrei entwickelt werden und dann stand ich noch ein bisschen auf der Bühne rum während meine beste Co-Sprecherin Johanna den Antrag zu inklusiveren, digitalen Tools innerhalb der Partei vorgestellt hat.
Alle Anträge wurden ohne Gegenstimme angenommen!
Während dessen hat mein Digital-Native-Mini ein bisschen Sendung mit der Maus geguckt. Das restliche Wochenende habe ich dann das für ihn eher langweilige “Rumsitzen mit Leuten” mit extra viel Klettern, Tanzen und Kuscheln kompensiert.
Zum Glück habe ich selbst nicht viel auf mein Handy geschaut, sonst hätten mir einige “Väterrechtler” vielleicht noch die Wochenendlaune verdorben. Seit Tagen versuchen Dutzende Männer mit Spam, Sticheleien oder gleich Beschimpfungen, grüne Frauen als Männerhasserinnen zu denunzieren. Ich habe selber eine Trennung mit Kind hinter mir und ich weiß, wieviel Frust dabei entstehen kann. Und wie unbefriedigend es ist, feststellen zu müssen, dass es eben nicht die Lösung gibt, die für alle Eltern und Kinder perfekt ist. Nicht pauschal, aber noch nichtmal für eine einzelne Familie. Wie eine Gleichung, die einfach nicht aufgeht, egal wie mensch sie dreht und wendet. Trennungseltern, die wirklich das beste für ihre Kinder wollen, lernen das zu akzeptieren und suchen nach der Lösung, die für das oder die Kinder am besten ist und schlucken ihren eigenen Frust darüber runter.
Die meisten der Väter, die mich gerade auf Twitter bombardieren scheinen jedoch einfach nur rasend und absolut nicht Willens zu akzeptieren, dass sie einmal im Leben nicht alles bekommen, was sie wollen.
Die, die ernsthaft an einer Debatte über die Verbesserung der Gesetzeslage, der finanziellen Rahmenbedingungen und der Ausstattung der Jugendämter für Trennungsfamilien interessiert sind, lade ich hiermit herzlich zu einem Gespräch ein! Vielleicht nicht unbedingt auf Twitter…
Nächste Woche schaffe ich es vielleicht endlich mal, alle aufgestauten Emails aus dem Urlaub abzuarbeiten. Ende der Woche halte ich dann bei einer Start-Up Konferenz einen Vortrag über Unternehmenskommunikation und ich finde gerade ganz entspannt, dass das zur Abwechslung einfach “nur Arbeit” ist.
Das Politische arbeite ich davor ab. Fertig ist mensch damit ja leider nicht so schnell, beim aktuellen Zustand der Welt…
Natürlich gehe ich morgen zum Klimastreik – sogar mit offiziellem Segen von eyeo. Wir haben Vertrauensarbeitszeiten, von daher hätten wir sowieso alle zur Demo gegen können, aber weil es eben eine coole Firma ist, steht jetzt im Intranet, dass niemand die Zeit nachholen muss. Gilt es überhaupt noch als Streiken, wenn ich quasi offiziell freigestellt bin?
Am Samstag demonstriere ich dann jedenfalls wieder in meiner Freizeit, denn die frauen- und menschenfeindlichen selbsternannten “Lebenschützer”, auch bekannt als fundamentale Antifeminist*innen, ziehen wieder durch Berlin und ich werde auf der Gegendemo für das uneingeschränkte Recht auf körperliche Selbstbestimmung einstehen. Denn selbst bei verwirrend viel dafür-gegen-pro ist hier ziemlich klar, wer auf der richtigen Seite der Geschichte steht.
Sollte mir irgendwann in meinem Leben langweilig sein, schreibe ich einen Ratgeber “Demonstrieren mit Kind”. Da stehen dann so Sachen drin, wie “Kinderwagen eigen sich hervorragend zum Anbringen von Demoschildern” oder “Trillerpfeifen vermitteln schon den Kleinsten früh den Spaß am Demonstrieren – Gehörschutz für Groß und Klein nicht vergessen.”
…hiermit möchte ich ernsthaftes interesse zur diskussion zur verbesserung der gesetzeslage, der ausstattung der jugendämter und überhaupt des rahmens für trennungsfamilien anmelden. b oder hh, you name it.
Besser spät als nie: Bei Dir würde ich nie an ernsthaftem Diskussionsinteresse zweifeln!
Das ist übrigens ein sehr, sehr lesenswertes Buch https://www.piper.de/buecher/das-beherrschte-geschlecht-isbn-978-3-492-05832-2