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Ostermontagspost

“Aber Mama, wenn ich die Augen zu mache, dann seh ich gar nix mehr!” musste ich mir gerade anhören.
Leider ist das Virus, oder in seinen Worten “die Mini-Monster” immer noch da, auch wenn ich die Augen zu machen. Letzte Nacht habe ich das erste Mal mit Social Distancing geträumt. Die neue Realität hat Einzug in meine Träume gehalten und auch sonst ist sie nirgends auszublenden. Jeden Morgen wache ich auf mit der Gewissheit auf “Wieder ein neuer Tag in der Isolation”. Es werden noch viele folgen und ich glaube nicht, dass ich je weniger wehmütig, weniger sehnsüchtig an das Leben davor denken werde.
Aber bei aller Sehnsucht, das hier jetzt ist auch Leben. In unserem Falle immer noch ein verdammt privilegiertes und gutes. Wir haben Platz, wir haben sogar einen großen Balkon, ich muss nicht um meinen Job fürchten sondern kann von zuhause arbeiten, während Mini alte Filme guckt. (Und mich fragt, wieso die Leute draußen Sachen anfassen dürfen…)
Ich habe mir mehr Kontinuität gewünscht, um irgendeinen Halt zu haben, bei all der Ungewissheit. Aber statt an einem Montagspost zu schreiben habe ich letzten Montag an einer Website gestrickt, da meine Mama und mein Opa sich in den Kopf gesetzt hatten, wenigstens irgendetwas zu tun für die Menschen, die im Lager Moria unter unmenschlichsten Bedingungen eingepfercht mit noch viel ungewisserem Schicksal ausharren. Der Spendenaufruf “Osterlicht für Moria” hat mehrere Tausend Euro zusammengebracht und ich hoffe, es hilft wenigstens ein klein wenig. Auch wenn alles Geld immer nur ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein sein wird, solange Europa Menschen an seinen Außengrenzen ertrinken und verrotten lässt.
Ich bin froh, dass es wenigstens ein paar Politiker:innen gibt, die sich mit allen Mitteln dafür einsetzen, dass die Menschen aus diesen Lagern evakuiert werden und ihr Recht auf Asyl erhalten.

Es ist schwer zu ertragen, die Bilder aus Moria, die Hilferufe aus Booten auf dem Mittelmeer während wir in unseren gemütlichen Wohnungen sitzen. Das Jammern über den Stress mit Kind im Home Office, die Wehmut über den geschlossenen Blumenladen fühlen sich falsch und egozentrisch an. Aber es geht nicht darum, das eine mit dem anderen zu vergleichen. Davon hat niemand was. Es geht darum handlungsfähig zu bleiben, für uns und für andere.

Am Dienstag Morgen habe ich noch die letzten Änderungen an der Website für den Spendenaufruf umgesetzt, am Dienstag Abend habe ich in einem Webinar mit dem CCC-Sprecher Linus Neumann und dem Juristen Ulf Burmeyer über Nutzen und Risiken einer möglichen Corona-Tracing-App diskutiert. Eine solche App kann sehr wahrscheinlich dabei helfen, Infektionsketten besser nachzuvollziehen und vor allem zu unterbrechen, allerdings halte ich es für unbedingt notwendig auf die bestmögliche Wahrung der Privatsphäre zu achten. Und auch mit einer technisch gut gemachten App gibt es viele Schwachstellen und Bedenken. Was ist mit Menschen ohne Smartphone? Wie kann sichergestellt werden, dass Menschen die möglicherweise Infiziert sind, sich auch wirklich in Quarantäne begeben? Wie verhindern wir, dass ein Status in einer App bald darüber entscheidet, wer in ein Restaurant, in einen Zug in eine Schule darf?
Die App ist keine Impfung und deshalb auch mit Sicherheit kein Allheilmittel. Ich kann die Faszination von Politiker:innen für eine Corona-App sehr gut nachvollziehen, es ist etwas greifbares, etwas, dass umgesetzt werden kann, etwas, dass mensch der Ohnmacht entgegensetzen kann. Denn Politiker:innen dürfen ja nicht untätig erscheinen, auf keinen Fall.
Trotzdem, ich bin der ganzen Diskussion fast schon dankbar, die technischen Details zu Bluetooth und Kryptographie sind komplex genug, um mich eine Weile lang zu beschäftigen, aber mit ein bisschen informatorischer Vorkenntnis durchaus nachvollziehbar. Ein bisschen wie der Lego Technic Bagger, den ich gerade zwischen all den Videokonferenzen zusammenbaue.

Am Mittwoch waren der Herzensmensch und ich einkaufen, generalstabsmäßig geplant. Lebensmittel einkaufen ist zwar eine sehr willkommene Abwechslung im Isolationsalltag, aber natürlich wollen wir auch die damit verbundenen Risiken, insbesondere für die Mitarbeiter:innen, minimieren. Nachdem wir eine Woche lang auf einer digitalen Liste gesammelt haben, was wir alles brauchen und wonach uns gelüstet, habe ich Einkaufszettel aus Papier geschrieben, damit wir im feindlichen Draußen nicht ständig an unseren Telefonen rumtatschen müssen. Ein Zettel für ihn, einen für mich, jeweils schon vorsortiert in der Reihenfolge wie die Produkte in unserem Bio-Markt in den Regalen stehen. Innerhalb von 20 Minuten standen wir mit zwei vollen Wagen an der Kasse, 10 Minuten später standen wir beide wieder zuhause am Waschbecken, Mundschutz runter, Hände waschen, Abenteuer Außenwelt beendet.

Aber weil ja Ostern war, habe ich mir noch einen zweiten Einkaufabstecher erlaubt, schwarz vermummt habe ich für Mini noch ein paar extraungesunde Ostersüßigkeiten gekauft, in einem Supermarkt in den Tiefen einer Mall, die niemand braucht und niemand will, aber die jetzt ideal leer ist. Davor reihen sich Hunderte ebenfalls leere Fahrradbügel, die sich aber, wie sich rausstellte, perfekte Abstandshalter sind, um mit einer guten Freundin ein paar Minuten von Angesicht zu Angesicht unter blauem Himmel, statt durch bläulich erleuchtete Displays zu sprechen. Was für eine Wohltat!

Es gab also am Ostersonntag ausreichend Schokoeier für Mini und Hefezopf und Obstsalat für uns alle. Ich habe mir ein Kleid angezogen und den Herzensmensch in ein Hemd komplimentiert damit es sich trotz sehr kleiner Tafelrunde ein bisschen besonders anfühlt.
Nach einem sehr ruhigen Osterwochenende würde ich mich jetzt freuen, morgen wieder ins Büro zu gehen und mit den Kolleg:innen zu quatschen. Stattdessen gehe ich hoch ins Wohnzimmer wo wir per Videokonferenz miteinander sprechen werden.

Natürlich werde ich auch diese Woche über digitale Pandemie-Bekämpfung diskutieren, am Mittwoch Abend mit der Grünen Fraktion in Hamburg und am Donnerstag im Rahmen unserer LAG Digitales, die selbstverständlich öffentlich und digital tagt, falls jemensch von Euch bis dahin noch nicht genug von Videokonferenzen haben sollte.

Bleibt gesund!

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